Chronik August 1919

  • Am Donnerstag, 31. Juli, brach in Basel ein Generalstreik aus

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    …. Den äussern Anstoss dazu bot eine Arbeitseinstellung in den Fabriken der Färbereifirma Clavel & Lindenmeyer. Hier hatte die Arbeiterschaft die Entlassung eines ihr nicht genehmen Meisters gefordert. Darauf wollte die Leitung nicht eintreten, und es entwickelte sich ein Konflikt. Interventionen und Einigungsversuche des Einigungsamtes und der Regierung scheiterten an der Hartnäckigkeit der Arbeiter. Es kam zum Streik. Die Arbeiterschaft der chemischen Industrie und der Seidenbranche erklärte sich mit der der genannten Firma solidarisch. Der Streik griff nach Zürich über und erfasste dort wie hier in Basel die gesamte organisierte Arbeiterschaft mit Einschluss der Arbeiter der staatlichen Betriebe und sogar der Staatsbeamten. Dem Ausstand wurde jetzt, um ihn einigermassen zu rechtfertigen, als Grund die Teuerung des Lebens unterlegt. Doch war von Anfang an niemand im Zweifel, dass es sich rein um eine Machtprobe handelte. - Obschon der Ausbruch des Streiks auf Donnerstag Mittag angekündigt war, verliessen die Streikenden in einzelnen Betrieben schon vorher die Arbeit. Auf Ersuchen der Regierung bot der Bundesrat Inf. Reg. 21 (Baselland und aargauisches Freiamt) auf, sowie etwas Kavallerie. Einzelne militärpflichtige Einwohner von Basel wurden persönlich aufgeboten. Das Platzkommando übernahm Oberst Jecker (Solothurn), das Oberkommando über die in Basel stehenden Ordnungstruppen führte Oberst Korpskommandant Steinbuch. Den ersten Ansturm, als die Truppen noch nicht auf dem Platze waren, hatte die Basler Polizei und ein Detachement freiwilliger Grenzwachttruppen auszuhallen. Die Streikenden suchten offenbar die ersten Stunden, da die Stadt noch mangelhaft geschützt war, nach Kräften auszunutzen. Die meisten Geschäfte wurden gezwungen, zu schliessen. Die Strassenbahnen hatten prompt den Betrieb eingestellt. Am Abend kam es während einer bürgerlichen Versammlung im Musiksaal zu wüsten Lärmszenen auf dem Barfüsserplatz und in dessen Umgebung. Am obern Steinenberg sahen sich die in Schützenlinie ausgebrochenen Truppen genötigt, von der Waffe Gebrauch zu machen. Am Freitag herrschte eine noch erbittertere Stimmung. Während des ganzen Vormittags hielt eine dichte Menge die Strassenkreuzung an der Klarakirche besetzt. Als gegen Mittag einige mit Militär und mit Maschinengewehren besetzte Automobile Luft schaffen wollten, flogen Pflastersteine und fielen Schüsse, die Soldaten antworteten. Ein zweites Mal musste die Truppe vor der Kaserne von der Waffe Gebrauch machen. Im ganzen blieben von den Zivilisten fünf Tote und etliche Schwerverwundete auf dem Platze. Der genaue Hergang des Auftrittes bildet den Gegenstand einer militärgerichtlichen Untersuchung. Von diesem Höhepunkt der bedauerlichen und beschämenden Tage war ein langsames Abflauen des Streiks nicht zu verkennen. Von vornherein hatte die Weigerung des Grossteils der Schweizer Arbeiterschaft, sich an dem Abenteuer zu beteiligen, und die Tatsache, dass der Generalstreik auf Basel und Zürich beschränkt blieb, dem Unternehmen eine ungünstige Prognose gestellt. Immerhin blieb unsere Stadt noch über acht Tage, bis zum 10. August, unter dem Drucke des Streiks. - Es kann sich hier nicht darum handeln, eine erschöpfende Darstellung von den Ereignissen dieser Tage zu geben und beispielsweise alle Versammlungen aufzuzählen, in denen die Arbeiterschaft beschloss, im Streik auszuharren. Nur einige Punkte mögen herausgehoben werden. Wir erwähnen das Verbot der Regierung, Alkohol auszuschenken, die Sperrung der Rheinbrücken während der kritischsten Zeit, die Teilnahme der Staatsbeamten am Streik, die in bürgerlichen Kreisen besonders böses Blut machte. Da die Staatsarbeiter in den ersten Reihen der Streikenden standen, so konnten die wichtigsten lebensnotwendigen Betriebe nur mit Mühe dank der hingebenden Mitarbeit der Bürgerwehr aufrecht erhalten werden. Der Tram blieb gänzlich eingestellt. Das Gaswerk konnte nur das zu Haushaltungszwecken nötige Gas liefern. Die öffentliche Strassenbeleuchtung unterblieb. Strassenreinigung und Strassenbesprengung sowie Kehrichtabfuhr und die unumgängliche Arbeit im Rheinhafen wurde durch die freiwillige Bürgerwehr besorgt. Auf einzelnen Linien der Strassenbahnen nach den Vororten mussten die Wagen von Militärautomobilen begleitet werden. Da die Typographen am Streik teilnahmen, so waren die bürgerlichen Blätter am Erscheinen verhindert. Sie halfen sich damit, dass sie ein «Nationales Bulletin» durch die Prinzipale setzen und drucken liessen. Der sozialdemokratische «Vorwärts» wurde vom Kommando der Ordnungstruppen verhalten, nicht in grösserem Umfang zu erscheinen als seine bürgerliche Konkurrenz, und als er der Weisung nicht Folge leistete, wurde er suspendiert und sein Gebäude militärisch besetzt. - Schon Mitte der zweiten Augustwoche bestand kein Zweifel mehr darüber, dass die Bewegung im Sand verlaufen werde. Am Samstag 10. August war der Streik zu Ende, die Truppen konnten entlassen werden. Es folgte ihnen der Dank der Regierung und der Bevölkerung nach. Der Führer der Basler Arbeiterschaft, Red. F. Schneider vom «Vorwärts», büsste während dieser Tage seine Beteiligung am Generalstreik vom November 1918 auf dem Fort Savatan ab. An seiner Stelle leiteten den Streik die Jungburschen und Rosa Grimm. Als Führer der streikenden Staatsbeamten wurde in der bürgerlichen Presse Hugo Baumgartner-Mica, Lehrer an der Allgemeinen Gewerbeschule, genannt.

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